Altbundespräsident Richard von Weizsäcker ist am 31. Januar gestorben

Quelle: www.faz.net

31. Januar 2015
Erster Bürger der Nation

Richard von Weizsäcker sah sich über weite Strecken seines politischen Wirkens als Versöhner von Geist, Macht und Nation. Als Staatsoberhaupt erkannte er an, dass kollektives Schicksal auch kollektive Schuld bedeutet.

Als „Säulenheiligen“ der Bundesrepublik hat ein frecher Laudator den früheren Bundespräsidenten Richard Freiherr von Weizsäcker zum neunzigsten Geburtstag etwas respektlos beschrieben. Weizsäcker selbst sah sich über weite Strecken seines politischen Wirkens als Versöhner von Geist, Macht und Nation. Damit verband sich der Wunsch des Diplomatensohnes, durch seine Reden eine erzieherische Wirkung zu erzielen. Einmal ist ihm das in einer Weise gelungen, die ihn, ungeachtet sonstiger Verdienste, zu einer historischen Größe werden ließ: Mit seiner Rede zum 40. Jahrestag des Kriegsendes am 8.Mai1985 deutete Weizsäcker die Ereignisse als „Tag der Befreiung“ von der nationalsozialistischen Diktatur. Aus dieser Perspektive stieg über die Trauer ob Zerstörung und vollkommener Niederlage das Glück, einen neuen Anfang machen zu dürfen. Allerdings ohne die eigene Schuld zu vergessen.

Ausdrücklich erkannte Weizsäcker als Staatsoberhaupt an, dass kollektives Schicksal auch kollektive Schuld bedeute, eine gemeinsame Verantwortung für die Hitler-Diktatur, den Krieg und die Vernichtung der Juden. Wenn es je ein Schlusswort in der Nachkriegszeit gegeben hat, dann war es diese Rede, mit der Jahrzehnte des Vernebelns und Beschweigens endgültig endeten. Widerspruch blieb erlaubt. Weizsäckers Parteifreunde aus der CDU hielten die „gesellschaftliche Dauerbüßeraufgabe“ für lähmend, die der Präsident den Bundesdeutschen verordnete. Weizsäcker erklärte Erinnern und das Bekenntnis zur eigenen Schuld quasi zur Staatsräson. Er ermöglichte so eine Neubestimmung sowohl in der Bonner Republik als auch im Ansehen der europäischen Nachbarn und selbst der damaligen Sowjetunion.

Richard Freiherr von Weizsäcker war in jenem Augenblick nicht bloß ein redegewandter CDU-Politiker im Präsidentenanzug. Sondern er trug mit sich eine konservativ-protestantische Familientradition von Adel, Gelehrsamkeit, Jurisprudenz, aber auch schuldhafter Verstrickung die NS-Diktatur. Sein Vater, Ernst Freiherr von Weizsäcker, hatte als Diplomat und Staatssekretär im Auswärtigen Amt zwischen 1938 und 1943 das nationalsozialistische Vernichtungsgeschäft mitverantwortet. Zugleich wollte er versucht haben, den Krieg und das Schlimmste zu verhindern. Weizsäckers Vater wurde im Nürnberger Wilhelmstraßen-Prozess wegen Verbrechen gegen die Menschlichkeit zu mehreren Jahren Gefängnis verurteilt. Der damals noch junge Sohn half als Jurist bei seiner Verteidigung. Er selbst, und auch das prägte später seinen Blick auf Nation und Geschichte, hatte als Offizier des traditionsreichen, ehemals preußischen Infanterieregiments 9 am Vernichtungskrieg sechs Jahre lang teilgenommen, erst in Polen, dann überwiegend in der Sowjetunion. Die Erinnerung an Sterben und Töten habe ihn danach immerfort begleitet, berichtete Weizsäcker oft. Hinzu kam zumindest eine spirituelle Nähe zum Widerstand gegen Hitler. Weizsäcker war nach eigenen Angaben in die Attentatspläne des 20. Juli 1944 eingeweiht und bereit zur Mithilfe bei der Überwindung des Regimes.

Seine Erfahrungen haben den späteren CDU-Abgeordneten und aktiven Protestanten in einer Weise geprägt und begleitet, wie man es sich heutzutage bei jungen Erwachsenen oder auch reiferen Menschen kaum noch vorstellen kann. Richard von Weizsäckers langes Leben, das am Samstagmorgen nach 94 Jahren zu Ende ging, überspannte die zwanziger Jahre der Weimarer Republik, die Schlachtfelder des Zweiten Weltkriegs, die lange Nachkriegszeit bis hin zu den Jahren und Jahrzehnten nach der Vereinigung des geteilten Deutschlands. Weizsäcker hat diese Zeiten als Berliner Gymnasiast, Soldat, Jurist, Industrie-Manager, Laientheologe, Politiker und Staatsmann durchlebt. Und natürlich, nicht zu vergessen, als Ehemann und Vater von vier Kindern. Wenn der Alt-Bundespräsident in den letzten Jahren in immer noch tadelloser und etwas unnahbarer Haltung in Berlin auftrat, bestaunten viele in ihm ein lebendes Panorama eines zurückliegenden Jahrhunderts und einer Nation.

Weizsäcker war als Bundespräsident von 1984 bis 1994 eine Art republikanischer Monarch. Als Staatsoberhaupt gab er sich zuweilen allerdings jenseitiger des politischen Parteisystems, als er es tatsächlich war. Das ärgerte nicht bloß Helmut Kohl. Der Bundeskanzler, der den Parteifreund zum Bundespräsidenten gemacht hatte oder es zumindest nicht verhinderte, ärgerte sich schwarz über die „herablassende Freundlichkeit“ des einstigen CDU-Weggefährten. Dahinter verbargen sich noch ganz andere Gegensätze, in denen sich ganze Jahrhunderte deutscher Geschichte spiegeln konnten: Adel und Bürgertum, Katholizismus und Protestantismus, Ost- und Westneigung. Wo Weizsäcker Kohl als zu abhängig von den Vereinigten Staaten kritisierte, wollte Kohl sich über Weizsäckers eigensinnige Ostpolitik wundern.

Bereits während seiner kurzen Amtszeit als Regierender Bürgermeister von Berlin, 1981 bis 1984, hatte Weizsäcker eine eigene Ostpolitik probieren wollen. Während er sich in dieser Hinsicht an Willy Brandt orientierte, maß Kohl sich am ersten Bundeskanzler Konrad Adenauer und dessen Politik strikter Westbindung. Von großen stadt- und sozialpolitischen Vorhaben hielt Weizsäcker sich in der maroden Teilstadt damals eher fern. Man nannte ihn hernach etwas spöttisch „den Regierenden Seelendoktor“. Immerhin errang er für die West-Berliner CDU 1981 bei der Abgeordnetenhauswahl sagenhafte 48 Prozent. Bei allem höheren Habitus verstand Weizsäcker es auch, in den politischen Straßenschlachten des Berliner Wahlkampfes zu siegen. Im Bonner Kanzleramt sorgte es dennoch für ziemlichen Aufruhr, als von Weizsäcker im September 1983 dem DDR-Staatsratsvorsitzenden Erich Honecker in Ost-Berlin einen Besuch abstattete, als erster „Regierender“.

Sein Wunsch und Wille zu Verständigung und Versöhnung, insbesondere mit dem Nachbarn Polen, haben dann in seinen Jahren als Bundespräsident der alten Bundesrepublik Vertrauensfundamente zumindest mitgegossen, auf denen 1990 Kohl die Einheit errang. In dieser Zeit nach der friedlichen Revolution in der DDR war der Zupackende und auch Überrumpelnde gefragt, der Kohl war. Weizsäcker bildete eher einen goldenen Rahmen des Geschehens. Danach aber gelang es dem nunmehr gesamtdeutschen Bundespräsidenten in seinen letzten dreieinhalb Amtsjahren in der Bonner Villa Hammerschmidt und immer öfters im Schloss Bellevue, sich auch den Deutschen aus der früheren DDR als ihr erster Bürger der Nation zu empfehlen und von ihnen angenommen zu werden. Respekt und Beliebtheit begleiteten ihn, den Herausragenden, weit über seine Amtszeit hinaus und bis in die letzten Tage seines reichen Lebens.

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Quelle: www.spiegel.de

31. Januar 2015

Altbundespräsident Richard von Weizsäcker ist tot

Er war einer der beliebtesten und profiliertesten Politiker der Nachkriegszeit: Richard von Weizsäcker. Jetzt ist der Altbundespräsident im Alter von 94 Jahren gestorben.

Berlin - Richard von Weizsäcker ist tot. Der frühere Bundespräsident starb am Samstag im Alter von 94 Jahren.

Weizsäcker war von 1984 bis 1994 Bundespräsident. In diesem Amt erlangte er im In- und Ausland hohe Anerkennung. Besonders in Erinnerung ist seine Rede zum 40. Jahrestag des Kriegsendes vom 8. Mai 1985 geblieben. Darin bezeichnete Weizsäcker den 8. Mai 1945 als "Tag der Befreiung vom menschenverachtenden System der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft".

Weizsäcker hatte selbst im Zweiten Weltkrieg in der Wehrmacht gekämpft. Sein Vater Ernst von Weizsäcker war im NS-Regime Staatsekretär im Auswärtigen Amt. In den Nürnberger Prozessen war Richard von Weizsäcker einer seiner Hilfsverteidiger.

1954 trat Weizsäcker in die CDU ein. Von 1966 an saß er im Bundesvorstand der Partei, drei Jahre später wurde er erstmals in den Bundestag gewählt. Bereits 1974 kandidierte er erstmals als Bundespräsident, unterlag aber deutlich gegen den FDP-Politiker Walter Scheel. Von 1981 bis 1984 war Weizsäcker Regierender Bürgermeister von Berlin. Dort war er, der am 15. April 1920 in Stuttgart geboren wurde, auch aufgewachsen.

Innerparteilich galt Weizsäcker als Rivale von CDU-Chef Helmut Kohl. Der Kanzler warf dem Bundespräsidenten wiederholt vor, er halte sich immer für den Klügsten und Besten.

Der amtierende Bundespräsident Joachim Gauck würdigte Weizsäcker als "einen großartigen Menschen und ein herausragendes Staatsoberhaupt".

"Sein Diktum, dass der 8. Mai nicht vom 30. Januar 1933 zu trennen ist, ist eine nicht revidierbare Grundlage für unser Selbstverständnis und unser Handeln geworden", schrieb Gauck in seinem Kondolenzschreiben an Weizsäckers Witwe. Er habe das Amt des Bundespräsidenten auf bleibende Weise geprägt.

"Er war ein Zeuge des Jahrhunderts", schrieb Gauck. "Richard von Weizsäcker hat sich um unser Land verdient gemacht. Wir werden ihn nicht vergessen."

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